Die Dystopie des Digitalmaklers

04.03.2021

Das wichtigste Investment meiner Familie war unser Eigenheim. Ich erinnere mich genau. Wir betraten das Haus und schnell war klar, dass wir es haben wollten. Ich schaute meiner Frau in die Augen und wusste, dass wir ein Kaufangebot unterbreiten wollen. Und die Entscheidung war goldrichtig. Wir fühlen uns wohl in unseren eigenen vier Wänden.

Mit dieser Erfahrung stehe ich nicht allein. Jedes Jahr finden viele Deutsche ein passendes Zuhause, ein passendes Büro, eine passende Ladenfläche, die sie kaufen oder mieten. Für die meisten ist diese Situation ein unvergesslicher Moment. Schließlich ist eine Immobilie immer auch ein Mittelpunkt. Ein Mittelpunkt der Familie, des Berufs und des eigenen Traums. Als Immobilienberater habe ich das Privileg, oft in solchen besonderen Momenten dabei zu sein. Ich erinnere mich an viele Anekdoten und strahlende Augen. Das ist auch das, was meinen Beruf ausmacht.

 

Digitalisierung ist Mittel zum Zweck

Doch natürlich hat sich mein Berufsfeld in den letzten Jahren rasant geändert, an vielen Stellen deutlich zum Positiven. Uns fällt es heute leichter, Kontaktpunkte für die Präsentation zu schaffen, datenbasiert Mieten und Kaufpreise zu ermitteln, Interessenten zu erreichen und repetitive Prozesse etwa in der Verwaltung zu automatisieren. Wir Gewerbeimmobilienberater sind mit Hilfe neuer Technologien effizienter und digitaler geworden. Wir können mehr Zeit aufbringen für das, was wirklich zählt: die persönliche Beratung. Digitalisierung ist hier nur ein Mittel zum Zweck, aber nicht der Zweck selbst.

 

Digitalmakler ist nicht das Ziel

Dennoch sehe ich um mich herum zunehmend viele Marktteilnehmer, die sich als Digitalmakler bezeichnen. Aus meiner Sicht beschreibt dieser Begriff eine echte Dystopie. Wie schlimm ist die Vorstellung, dass Immobilienberatung nur noch digital stattfindet? Immobiliensuchende, seien es nun Käufer oder Mieter, Gewerbetreibende oder Privatpersonen, wollen digitale Möglichkeiten nutzen, aber sie suchen auch Menschen. Stellen Sie sich einmal vor, Sie kommunizieren auf der Suche nach passenden Immobilien nur noch virtuell oder – noch schlimmer – ausschließlich mit Algorithmen. Wir brauchen keine Digitalmakler, sondern digital denkende Makler. Ansonsten schießen wir über das Ziel hinaus.

 

Technologie wird wichtiger, aber nicht am wichtigsten

Ich bin nun wahrlich kein Innovationsverweigerer. Wir bei NAI apollo nutzen an zahlreichen Stellen neue Technologien und investieren auch in digitale Geschäftsmodelle. Wir sind Piloten und Partner für PropTechs und Early Adopter für neue Ideen. Aber am Ende des Tages dient die Technologie dazu, unsere Beratungsfähigkeiten zu verbessern, nicht sie zu ersetzen. Natürlich ist es gut, wenn wir unser Bauchgefühl mit Hilfe von Datenanalysen untermauern können. Selbstverständlich ist es richtig, unseren Kunden auch vor dem Erstkontakt ein möglichst präzises virtuelles Bild der Möglichkeiten zeigen zu können. Und es ist vollkommen klar, dass wir immer und überall für unsere Kunden erreichbar sind und auf ihre Bedürfnisse bestmöglich eingehen können. Aber das ist digital getrieben – und nicht vollständig digital.

 

Nicht alles, was möglich ist, ist nötig

Als Hanseat bin ich ein bodenständiger Mensch. Und genauso schätze ich Technologien ein. Aus meiner Sicht sind Technologien wichtig, um uns zukunftsfähig aufzustellen. Aber wir müssen nicht alles nutzen, nur weil es heute möglich ist. Es ist kein Wettkampf zwischen Mensch und Maschine. Vielmehr ist es eine Symbiose. Wir brauchen Digitalisierung, um besser zu werden. Aber wir brauchen sie nicht, um unsere Jobs zu machen. Immobilienberatung ist nun einmal nicht „Hamburger verkaufen“. Wir müssen uns in unsere Kunden genauso hineinversetzen wie in Finanzierungsthemen und juristische Fragestellungen. Unsere Algorithmen tragen Kostüme und Anzüge und nicht Bits und Bytes.

 

Gastbeitrag: Andreas Wende, Geschäftsführer von NAI apollo